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Die Europäische Nachbarschaftspolitik und die Wahlen in der Ukraine

Veranstaltung
Datum
Ort
Berlin, Deutschland
Aktive Rolle
Annika Weidemann
Rainder Steenblock
Claudia Nolte

Die EU Nachbarschaftspolitik vor dem Hintergrund der jüngsten Wahlereignisse in der Ukraine war das Thema des Dinner-Dialogs, der am 14. Dezember 2004 in Berlin, unter Leitung der Heinrich-Böll-Stiftung und Ecologic, stattgefunden hat. Kernpunkt der Debatte war die Frage, ob der neu ausgehandelte Aktionsplan, der zeitgleich mit den Wahlen von der EU-Kommission verabschiedet wurde, angesichts der veränderten Umständen noch aktuell ist, oder ob die EU ihre Politik vis a vis der Ukraine noch einmal überdenken sollte. Gastredner waren Annika Weidemann, Rainder Steenblock und Claudia Nolte.

Annika Weidemann (EU Ratssekrätariat, GASP, Brüssel) eröffnete den Abend mit einer kurzen Einführung zur Europäischen Ukraine-Politik. Der Inhalt des ausgehandelten Aktionsplanes baut auf das bestehende Abkommen (PCA) auf, und vieles davon wird weiter geführt. Die Schwerpunkte liegen im Wesentlichen auf wirtschaftliche Fragen, Handel, Umweltschutz und eventuelle militärische Zusammenarbeit. Sie betonte, dass die ENP für Partnerstaaten eine Beteiligung an der Europäischen Freihandelszone sowie an politischen Prozessen mit sich bringt, nicht aber eine Teilhabe an Institutionen. Dieser Umstand löste in der Ukraine Unzufriedenheit aus, da sie sich nicht als Nachbarstaat, sondern als Teil von Europa begreift.

Die Wahlen in der Ukraine werden voraussichtlich kurzfristig wenig am Status Quo der Europapolitik ändern. Nach Ablauf des ersten dreijährigen Aktionsplanes könnte u. U. ein neues Abkommen folgen. Es ist aber prinzipiell möglich, dass, obwohl die EU nach der jüngsten Erweiterungsrunde ungewillt ist weiteren Länder eine Mitgliedschaftsperspektive in Aussicht zu stellen, man in der Zukunft eventuell doch ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine abschließt. Der Außenministerrat hat 13. Dezember 2004 Javier Solana (Hohe Vertreter für die GASP) und die EU-Kommission beauftragt, weitergehende Vorschläge zu unterbreiten, die über den bestehenden Rahmen der Nachbarschaftspolitik hinaus gehen können.

Eine der wesentlichen Probleme der EU Außenpolitik ist die Unfähigkeit, mit 25 Mitgliedern zu einer schnellen Einigung / Entscheidung zu gelangen. Grund dafür ist u.a. die noch starke nationale Politikausrichtung der Mitgliedstaaten, und die dadurch unterschiedlichen Interessensgewichtung, was die Nachbarländer betrifft. Die Ukraine kann aber - ähnlich wie Kroatien - durch konsequente Umsetzung der Reformen und Einhaltung der EU Bedingungen ihrerseits einen Druck auf die EU ausüben, der den Prozess der Annäherung dadurch vorantreiben könnte. Wichtig ist nun abzuwarten, wie die Regierungsbildung verläuft, und wie die Reformen anlaufen. Zwei Prioritäten von Viktor Juschtschenko - Marktwirschaftstatus und WTO Mitgliedschaft - bewegen sich beide innerhalb des Rahmens des Aktionsplanes und werden voraussichtlich 2005 auf der Tagesordnung stehen.

Rainder Steenblock (MdB und europapolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion) betonte, dass die Europäische Nachbarschaftspolitik sinnvoll, jedoch politisch völlig unvollständig sei. Es werden unterschiedliche Räume zusammen behandelt, die weder historisch noch strategisch, noch von den aktuellen Problemen her, zusammen gehören. Des Weiteren liegt ein eventueller Beitritt der Ukraine 10-15 Jahre in der Ferne; die Entscheidungen werden von einer anderen Generation und unter veränderten Umständen getroffen werden. Die EU müsse ihr Verhältnis zu den östlichen Nachbarstaaten aber intensiver betrachten, da viele der neuen Mitgliedländer ein starkes regionales Interesse an der Frage der neuen östlichen Grenze haben. Die Ukraine ist strategisch ein sehr wichtiges Land (z. B. in Bezug auf Republik Moldau, Kaukasus). Bei der Umsetzung ihrer Interessen in dieser Region spielt die Beziehung der EU zu Russland aber weiterhin eine entscheidende Rolle. Durch die nun veränderten Umständen müsse die EU nun keine neuen Dokumente erstellen, sondern innerhalb des ENP Rahmens konkret etwas tun. Die Gefahr bestehe darin, dass nach den Wahlen die EU ihre Aufmerksamkeit anderen Problemen zuwendet, und der Ukraine dadurch weniger Unterstützung bei der Bewältigung Ihrer Probleme zukommt. Die EU müsse nun aber ihre politische Verantwortung gegenüber der Ukraine wahrnehmen.

Claudia Nolte (MdB und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages) wies darauf hin, dass es richtig sei - auch aus Eigeninteresse - dass sich die EU um eine gute Nachbarschaft bemüht und ein entsprechendes Konzept entwickelt. Jedoch sollte die ENP inhaltlich stärker zwischen europäischen und nicht-europäischen Nachbarn differenzieren. Die Ukraine sei ein europäisches Land, dem - vor allem nach einem Sieg Juschtschenko's - andere Optionen angeboten werden sollten. Man sollte offen halten, dass es ein langer Weg sein kann, aber betonen, dass die Ukraine willkommen ist. Die EU müsse des Weiteren ihre Präsenz in den EU-Nachbarstaaten verstärken (z.B. in der Republik Moldau).

Die anschließende Diskussion behandelte u.a. folgende Themenbereiche:

  • Das Verhältnis zu Russland. Eine neue Balance wird voraussichtlich, unter Berücksichtigung der neuen Mitgliedstaaten, entstehen. Es geht nicht nur um die Zukunft der Ukraine, sondern auch um die Zukunft Russlands.
  • EU-Ukraine Politik ist nicht gleich EU-Türkei Politik. Es gibt zwischen der EU und der Türkei Verpflichtungen, die vier Jahrzehnte zurückgehen.
  • Die Finalitätsdebatte - sollte sie überhaupt geführt werden? Sie wird zu stark an nur zwei Optionen fest gemacht: Vollmitgliedschaft oder privilegierte Partnerschaft. Es werden dadurch keine nötigen Spielräume geschaffen.
  • Die Voraussetzungen weiterer Erweiterungsrunden basieren stark auf die Fähigkeit der EU ihren Haushalt umzuschichten.
  • Bei der ENP und der Erweiterungsdebatte schwingt viel Entwicklungspolitik mit. Die Motivation ist richtig, jedoch muss die EU stärker ihre außenpolitischen Interessen definieren, und herausfinden, welche Rolle sie in der Welt spielen möchte. Dies könnte zu anderen Ergebnissen führen, was die Zukunft der EU angeht.
  • Wie lange wird das Auge der Öffentlichkeit, und damit auch das Engagement von Außen, anhalten? Solidarität und Unterstützung vonseiten der EU bleiben wichtig.
  • Das zivilisatorische Projekt (basierend auf den Kopenhagener Kriterien) sollten vom politischen Projekt getrennt werden. Ersteres soll vorangebracht werden, letzteres aber umgesetzt werden.
  • Eine kohärente Politik seitens der EU ist wichtig. Nationale Interessen sollten nicht die Bemühungen auf EU Ebene unterlaufen.
  • Zukunftszenarien -  die ENP in 2020. Voraussichtliche Veränderungen innerhalb Europas können zu einem neuen Europabegriff führen, der die heutige ENP stark verändern könnte.
  • Ist die EU Politik zu reaktiv? Wie könnte eine aktivere Politik aussehen und was könnte sie bewirken?

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