Direkt zum Inhalt

Von der Forschungs-WG zu Eckpfeilern deutscher Umweltforschung – die ersten Umweltforschungsinstitute Deutschlands

Prof. Dr. Martin Jänicke und Dr. Ulrich Höpfner
Print

Von der Forschungs-WG zu Eckpfeilern deutscher Umweltforschung – die ersten Umweltforschungsinstitute Deutschlands

Veranstaltung
Datum
Ort
Berlin, Deutschland
Aktive Rolle
Dr. Ulrich Höpfner

Dr. Ulrich Höpfner und Prof. Dr. Martin Jänicke blickten am 29. Mai 2013 im Ecologic Institut in Berlin auf die Anfänge der Umweltpolitikforschung in Deutschland zurück. Das Zeitzeugengespräch thematisierte besonders die Entstehung verschiedener unabhängiger Umweltforschungsinstitute. Moderiert wurde die Veranstaltung von R. Andreas Kraemer. Ein Video ist online verfügbar.

Dr. Ulrich Höpfner hat das Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) 1978 mit gegründet und war von 1978 bis 2009 Vorstand bzw. Geschäftsführer. Prof. Dr. Martin Jänicke ist Gründungsdirektor des Forschungszentrums für Umweltpolitik (FFU) der Freien Universität Berlin, welches er auch viele Jahre leitete.

Der Konflikt um die kritische Umweltwissenschaft wurde von den Experten als Teil des Konflikts um die Freiheit der Wissenschaft  als solche gesehen, die sich laut Dr. Höpfner maßgeblich aus der Studentenbewegung speiste. "Kernenergie war so breit akzeptiert, dass man in der Wissenschaft kaum Kernenergie kritische Wissenschaftler hatte", kommentierte Dr. Höpfner. Während der Bürgerproteste gegen das Atomkraftwerk (AKW) Wyhl ab 1973 wurde der Bedarf an kritischer Wissenschaft deutlich. Die Umweltbewegungen fragten die Universitäten Heidelberg und Freiburg an, wo sich Studentengruppen mit diesen Themen befassten. An der Universität Heidelberg war das "Tutorium Umweltschutz" – eine aus etwa 50 Studenten und Doktoranden bestehende Gruppe, aktiv. Das Tutorium erarbeitete Gutachten, die wissenschaftliche Mängel in den Gutachten für Atomenergie offenlegten und traten in gerichtlichen Verfahren als Experten für die Umweltbewegungen auf. Im Fall Wyhl führten diese Verfahren zunächst zu Verzögerungen im Bau und der Erhöhung von Sicherheitsauflagen und damit Kosten. Das AKW Wyhl erhielt schlussendlich keine Betriebsgenehmigung.

Durch diesen öffentlichkeitswirksamen Prozess zogen die jungen Wissenschaftler den Unmut der Universitäten und der etablierten Wissenschaft auf sich. Dr. Höpfner berichtete von Hausverboten an der Universität und Versuche rechtlich gegen die Studentengruppen vorzugehen, da die Universitäten um ihren Ruf bangten. Bald wurde die Loslösung von den Universitäten vollzogen. 1977 gründete die Freiburger Studentengruppe das Öko-Institut. Das Tutorium Umweltschutz gründete 1978 das Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU). Thematisch beschäftigen sich die beiden Institute mit Reaktorsicherheit, Auswirkung der Radioaktivität auf den Menschen und die Umwelt und die Problematik der Endlagerung.

Prof. Dr. Jänicke arbeitete zu dieser Zeit am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, welches trotz des damals starken linken Profils Teil des klassischen universitären Betriebs war. Prof. Jänicke betonte die starren disziplinär bedingten Ideologien: "Wenn man Ökonom war, war man gegen Umweltschutz.  Die kritischen Wissenschaft entstand nicht an den Universitäten".  Die Auseinandersetzung zwischen der etablierten und der kritischen Wissenschaft wurde als Gegensatz zwischen "'seriöser' und 'umstrittener' Wissenschaft" dargestellt, in der die kritischen Wissenschaftler massiv diskreditiert wurden. "Man zahlte einen hohen Preis für diesen Einsatz" konstatierte Prof. Jänicke. Dies gelte insbesondere für die Wissenschaftler der unabhängigen Institute, doch war auch innerhalb der Universitäten eine Tatsache. In der Rückschau werteten jedoch beide Experten die so gewonnene Glaubwürdigkeit als besonderen Lohn dieser Arbeit.

Erst in den achtziger Jahren kamen auch die Universitäten in Bewegung. Einige Tage vor Tschernobyl 1986 wurde die Forschungsstelle für Umweltpolitik (FFU) an der Freien Universität Berlin gegründet. Prof. Dr. Jänicke erinnert sich an eine Ausschreibung des Wirtschaftsministeriums kurz nach Tschernobyl zu der Fragestellung, ob man aus der Atomenergie aussteigen könnte. Laut Jänicke erwartete das Ministerium ein Gutachten eines atomenergiefreundlichen Institutes, aufgrund der kurzen Fristen und des Zeitpunktes der Ausschreibung kam es jedoch nur zu Gutachten seitens des kohlefreundlichen Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung sowie der FFU, die beide argumentierten, dass ein Austritt aus der Atomenergie möglich sei. Besonders da dies ins Sommerloch im August fiel, kam es zu einer großen Presseresonanz, obgleich Umweltthemen zu diesem Zeitpunkt nur marginal von den Medien behandelt wurden.

Dies zeigt, dass sich zwischen den 70ern und 1986 eine wissenschaftliche Basis  für atomkritische Politikberatung gebildet hatte, die dazu fähig war ein Gutachten von solch einer Qualität und Durchschlagkraft zu verfassen.

Man hat damals einen hohen Preis gezahlt, wenn man kritischer Wissenschaftler war.

Kontakt

R. Andreas Kraemer
Founder and Director Emeritus, Ecologic Institute
Visiting Assistant Professor and Adjunct Professor, Duke University
Initiator and Convenor, Arctic Summer College

Mehr Inhalte aus diesem Projekt

Finanzierung
veranstaltet von
Aktive Rolle
Dr. Ulrich Höpfner
Team
Datum
Ort
Berlin, Deutschland
Sprache
Deutsch
Participants
25
Projekt
Projekt-ID
Schlüsselwörter
policy consultancy, environmental policy, Dr. Ulrich Höpfner, Prof. Dr. Martin Jänicke, IFEU, FFU, nuclear power, Oral History, Ecornet
Germany
interview